Laufen ist ein Raum

Wenn ich draussen mit meinem Hund unterwegs bin, werden wir ja laufend mit neuen Eindrücken und Vorkommnissen bombardiert und manchmal ist mir das einfach zu viel. Als ich jünger war und ohne Hund unterwegs, habe ich mir dann die Kopfhörer aufgesetzt und bin soweit in meiner eigenen Welt versunken, dass ich zwar den öffentlichen Raum…

Wenn ich draussen mit meinem Hund unterwegs bin, werden wir ja laufend mit neuen Eindrücken und Vorkommnissen bombardiert und manchmal ist mir das einfach zu viel. Als ich jünger war und ohne Hund unterwegs, habe ich mir dann die Kopfhörer aufgesetzt und bin soweit in meiner eigenen Welt versunken, dass ich zwar den öffentlichen Raum noch navigieren konnte, aber sonst nicht mehr viel aufgenommen habe davon. Es war ein (damals unbewusster) Schutzmechanismus vor einer Reizüberflutung. Vor allem Lärm und auch Hektik tat und tut mir nicht gut und offenbar konnte ich das schon früh erkennen. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass nicht alle Menschen gleich verkabelt sind und so mancher keine Probleme damit hat und das somit auch nicht besonders gut nachvollziehen kann.

In Ballungszentren wie Stadt und Dorf, überall wo viele Menschen durchkommen war ich also mit Kopfhörer unterwegs und war somit in einem für mich geschützten Raum.

Wenn ich laufen ging in der Landschaft, hier im Wald und in Peru in den Bergen, dann ging das ohne Kopfhörer, wollte ich ja die Natur wahrnehmen und erleben. Je dichter besiedelt ein Gebiet ist, umso mehr geht der eigentliche Wert der Natur verloren, die inhärente Stille ist nicht mehr vorhanden und auch der Raum wird einfach enger, auch bei gleichbleibender Quadratmeterzahl. Dem wollte ich entgegen wirken und wohnte einige Zeit sehr abgelegen in den Anden von Peru. Dort traf ich meinen Hund und weil ich schon viele Jahre alleine durch die Gegend gelaufen bin, machen wir das von da an nun gemeinsam.

Wir haben einige Male unseren Wohnort gewechselt und damit kam, dass sich auch das Gebiet, in dem wir laufen, immer mal wieder änderte. Auch in Peru wurde immer mehr gerodet und gebaut und ich war wieder „auf der Flucht“ vor Lärm und Maschinen.

Mit Lucy unterwegs zu sein ist natürlich ein Abenteuer zu zweit, wir wurden zu engen Vertrauten einzig durch unsere täglichen mehrstündigen Läufe. Wir haben uns beim Laufen kennengelernt, eine gemeinsame  Sprache gefunden und uns stetig zusammen weiterentwickelt. Kopfhörer sind seitdem nicht mehr mit dabei. Ich habe gelernt, in der Gegenwart zu sein und vor allem für meinen Hund einzustehen. Dadurch und nur dadurch habe ich gelernt, auch für mich selber da zu sein.  Mit Kopfhörer bin ich den Dingen ausgewichen, mit Lucy muss ich mich ihnen stellen.

Dennoch gibt es Momente auch beim gemeinsamen unterwegs sein, wo ich einfach auf „Augen zu und durch“ umstelle, weil es sonst mich (und auch Lucy) zu sehr aus der Spur bringt. Ich liebe es, im freien Fluss mit Lucy durch die Gegend zu schlendern, hier etwas zu betrachten, dort etwas zu entdecken und schön rumzuschnüffeln. Manchmal ist dies aber nicht möglich und es hat an allen Ecken und Enden Lärm und menschliche Präsenz. Ich nenne es „Tunnel“ was dann passiert: mein Fokus ist einzig auf dem Akt des Gehens und ich halte daran fest, bis sich der Raum für uns wieder öffnet.

Eine grosse Faszination im Zusammenleben mit Lucy ist unsere Ähnlichkeit bei inneren Dingen. So habe ich bemerkt, dass auch sie regelrecht geflutet wird von all den Eindrücken, die draussen auf uns einströmen. Sie hat ihre eigene Methode gefunden, damit umzugehen: sie schnüffelt. Sie schnüffelt sich in ihren eigenen privaten Raum, ganz so, wie ich es mit den Kopfhörer gemacht habe. Manchmal müssen wir aber von A nach B kommen und insbesondere weg vom Reiz und ich wähle den „Tunnel“. Wir laufen zügig unsere Spur und es gibt kein rechts und links. Lucy konnte das sehr gut von mir annehmen und ich fühle mich sicher und wohl in diesem Moment. So kommen wir ohne grosse innere Turbulenzen an grösseren äusseren Turbulenzen vorbei.

Unser täglicher Lauf hat sich über die Jahre zu einem wunderbaren System entwickelt, sich mit Dingen während dem Lauf aber auch jenseits des Laufes auseinander zu setzen. Davon und von vielem mehr wird das Buch handeln, das ich über unseren gemeinsamen Lauf schreiben werde.

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